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Tour durch den Nahen Osten 2008
Naher Osten 2008 - Von Ankara durch Anatolien nach Syrien, Jordanien und Palästina
Die Idee und erste Planungen
Wie vielen anderen kamen auch mir bei dem Gedanken an den „Nahen Osten“ die ständigen Konflikte, wie zuletzt im Libanon, in den Sinn. Das macht diese Gegend nicht gerade zu einem interessanten Reiseland.
Doch während meiner Arbeit in einem Krankenhaus weckten die dortigen Gastärzte aus Syrien, dem Libanon und der Türkei meine Neugier.
Immer wieder suchte ich sie in den Pausen auf und ließ mir von ihren Ländern berichten. Alle beantworteten meine vielen Fragen ganz brav und freuten sich über mein Interesse an ihren Ländern und ihrer Kultur.
Schliesslich beantwortete mein Kommilitone, der aus Syrien stammt, die Frage „ob man in diesem Land frei Reisen kann“ mit einem „Ja klar, warum nicht? Die Leute sind gastfreundlich und freuen sich über jeden Besucher.“
Damit war meine Entscheidung gefällt. Die nächste Tour sollte in der Türkei starten, von dort durch den Osten bis zur Iranisch-Armenischen Grenze zum Ararat und dann südlich bis zum Iran führen. Die Idee mit dem Ararat wurde mir kurz vor Reisebeginn von der PKK genommen, als dort drei Deutsche entführt worden waren. Es ging also schliesslich nicht ganz so weit nach Osten und wir blieben 250km westlich des Van-Sees. Dieses Mal sollte es auch endlich mit einem Reisepartner klappen, so dass ich die 6 Wochen nicht alleine war. Michael meldete sich auf meine Anfrage hin und wir starteten zu weit einen tollen Trip durch den Nahen Osten. Nachdem meine Eltern mich im Schwabenland abgeladen hatten und Micha und ich die letzten Vorbereitungen, einschließlich Fahrräder verpacken, erledigt hatten, gings ab zum Stuttgarter Flughafen.
Dem Sonnenaufgang entgegen ab Ankara
Wir landeten um vier Uhr morgens in Ankara. Nachdem unsere Räder und das Gepäck heil angekommen waren, stoppte man uns beim Reifen aufpumpen. Anscheinend gab es am Flughafen keine andere Luftpumpe und so durfte ich mit meiner vier Rollstühle fit machen. Als Dankeschön bekamen wir dann unseren ersten türkischen Kaffee. Danach wollten wir raus aus dem besiedelten Gebiet, um irgendwo auf einer Wiese etwas Schlaf nachzuholen. Doch draußen war es noch dunkel und auf der Straße ohne Licht viel zu gefährlich. Wir gingen also schliesslich doch wieder ins Gebäude, noch einmal durch eine Sicherheitskontrolle und hatten dann endlich eine gute Stunde Schlaf - die vom Sicherheitspersonal allerdings schnell zu Nichte gemacht wurde. Wir waren anscheinend eine gelungene Abwechslung ihrer Schicht und so mussten wir vielen Fragen standhalten.
Schließlich entdeckte eine der Sicherheitsbeamten - eine junge Albanierin - den Albanien-Aufkleber auf meinem Rad Jolene. Sie freute sich unheimlich darüber und ich konnte einige der Wörter auf Albanisch auspacken, die ich noch kannte. Da nun an eine Nachtruhe endgültig nicht mehr zu denken war, holte Micha die Ukulele raus und wir sangen den Sicherheitsbeamten Deutsche Volkslieder vor - gefilmt von mehreren Handykameras. Nachdem unsere Willkommensparty abgeklungen war, gings dann endlich auf die Räder, mit dem Sonnenaufgang im Rücken auf einer großen und immer stärker befahrenen Straße in Richtung Kalecik.
Gleich beim ersten Broteinkauf trafen wir auf die riesigen Verständigungsprobleme. Wir hatten noch viel zu lernen, aber dafür stand uns ja genug Zeit zur Verfügung. Gegen Mittag erreichten wir eine kleine Wiese mit Bach und ich schlief sofort ein. So überbrückten wir die völlig ungewohnte Mittagshitze, bis es am Abend weiter auf einen kleinen Pass hinauf ging, wo wir unsere Zelte aufbauten und etwas frisch gekauftes Gemüse essen konnten. Dieses hatten wir zuvor von zwei kleinen Kindern am Straßenrand geschenkt bekommen. Wir genossen den Sonnenuntergang und blickten von der Anhöhe hinab auf endlos scheinende Getreidefelder und die kleinen Dörfer mitten drin. Zum ersten Lied vom Muezzin fielen wir todmüde in den Schlaf.
An meinem 22. Geburtstag erwachte ich in wunderschöner Berglandschaft - was für ein Geschenk. Zügig erreichten wir den Ort Kalecik. Dort angekommen versuchte Micha eine Unterlegscheibe für seinen Hauptständer am Rad zu bekommen. Währenddessen wollte ich einkaufen, doch kam ich nicht weit. Die türkische Gastfreundschaft stoppte mich. In einer Männerrunde wurde mir ein Stuhl freigemacht, Tee, Obst, Brot und Honig gegeben und ich versuchte mich mit ein paar Wörtern Türkisch zu verständigen. Nach fast einer Stunde hatte ich dann immer noch nichts eingekauft. Doch Zeit scheint hier keinen zu interessieren. Nachdem die Unterlegscheibe passend geschliffen wurde und ich letzten Endes die benötigten Nahrungsmittel auftreiben konnte, sollte es weiter gehen. Doch als wir unsere Wassersäcke am dortigen Dorfbrunnen auffüllten, hielt ein Polizeiauto hinter uns: ihr dürft nicht weiter - nicht bevor wir zusammen einen Tee getrunken haben. Ich musste dann auch zehn Mal Atatürk – den Vater der Türken - geloben. Da ich mich für diese Berühmtheit interessierte, führten uns die Polizisten zu einem Haus, wo der Herr einst übernachtet haben soll. Stolz hing eine große Plakette an der Eingangstür und beide, der Polizist und ich, nickten ab. Wir bedankten uns mehrfach und fuhren weiter. Eine breite Straße führte nach Kirrikkale. Und wieder fing man uns von der Straße. Eigentlich wollten wir gleich weiter, doch eine Minute später saßen wir schon wieder einmal im Kreis der Familie, tranken Ayran und aßen Gemüse. Nachdem wir die richtige Straße gefunden hatten, fuhren wir weiter nach Köprükoy. In dem kleinen Ort wurden wir dann noch zweimal zum Tee eingeladen. An eine Weiterfahrt war nicht mehr zu denken. Ich kaufte also zwei Flaschen Bier und wir feierten meinen Geburtstag kurz hinter dem Ort mit tollem Blick auf eine Petrolraffinerie.
Über kleine Straßen erreichten wir am nächsten Morgen den Ort Köprükoy. Zuvor wurden wir natürlich noch einmal von einer sehr netten Familie (mit sehr hübschen Töchtern) eingeladen. Am Fluss angekommen war Micha nicht mehr zu halten. Wir gingen zur alten, halb versunkenen Brücke, trafen dort einen Russen und einen Türken und gingen gemeinsam baden. Mein beschränktes Russisch führte zu ein wenig Konversation. Gut abgekühlt konnte uns die Hitze dann zumindest für kurze Zeit nichts mehr anhaben. So sollten wir schnell die Strecke bis nach Kaman schaffen. Doch dies wurde uns schon nach wenigen Kilometern genommen, als die breite Straße für 35km in eine Piste überging, welche irgendwann mal eine Autobahn nach Ankara werden sollÂ… irgendwann.
Nächtliche Überraschung
Am Abend erreichten wir die Stadt und gönnten uns einen Döner. Bei einbrechender Dunkelheit verließen wir diese für einen tollen Platz, welcher bei uns unter dem Synonym „Garten Eden“ fortbestand. Das Beste war das große Wasserbecken, an dessen kleiner Quelle wir uns abkühlen und ausgiebig mit Kernseife waschen konnten. In der Nacht war dann plötzlich Glöckchengebimmel und Hundegebell an unseren Zelten. Micha hatte nur das Innenzelt aufgestellt und sah die Bestie in voller Größe unweit vor sich stehen. Er hatte zuvor bei seiner Arbeit im Krankenhaus gehört, dass es in der Türkei frei laufende Hirtenhunde gibt, welche die Schafherden nachts umher führen und diese auch sehr aggressiv verteidigen. Doch es ging alles gut. Der Hund starrte herüber, knurrte kurz und verschwand in der Dunkelheit. Am nächsten Tag trafen wir – zurück in Kaman – auf einen Deutschtürken, welcher uns ein Mittagessen spendierte und sich freute, dass wir sein Land so frei bereisen wollten und davon begeistert sind. Auf einer zweispurigen Straße ohne Verkehr erreichten wir eine Autobahn nach Kirsehir hinein und weiter zu einer Abbruchkante. Von dort ging es steil bergab und mit jedem Höhenmeter merkte man, wie es heißer wurde. Sofort fielen die durchlöcherten Felsen auf, wir hatten Kappadokien erreicht. In der angenehmen Abendsonne fuhren wir ein schönes, landwirtschaftlich genutztes Tal entlang. Hinein nach Avanos, der Stadt südlich des Göreme Nationalparks. Endlich verstand ich den Spruch: “Selbst ein Blinder findet den Weg nach Avanos, er folgt einfach den Scherben“. Es ging vorbei an zahllosen Ziegeleien und anderem Ton-verarbeitendem Gewerbe. Wir waren ausgezehrt, da es den ganzen Tag nicht viel zu essen gab. Also stand wieder einmal Döner auf der Speisekarte. Ein nettes kleines Lokal lud uns ein und der freundliche Wirt brachte uns 3 Döner. Während wir drinnen saßen, beobachtete ich, wie draußen ein kleiner Junge um unsere Fahrräder schlich. Mit schüttelndem Kopf kehrte er den Rädern den Rücken zu und ging. Was mag er gedacht haben?“ Sind das arme Menschen, dass sie sich bei so einer Hitze mit dem Gepäck durch die Steppenlandschaft quälen?“.
Kappadokien, eine bizarre Felslandschaft
Von hier aus war es nicht mehr weit in den Nationalpark um Göreme. Wir siedelten auf dem Campingplatz „Berlin“, welcher von einem Türken geführt wurde, der 40 Jahre in der deutschen Hauptstadt gearbeitet hatte und gut Deutsch spricht. Von dem Platz aus ging es direkt in die bizarre Felsformation der Tuffstein Feenkamine. Das Freilichtmuseum Göreme ist frei zu betreten und man wird beim Durchwandern des riesigen Areals zurückversetzt in die Zeit der Christen, die hier zwischen dem 8. und 13. Jh. lebten und grandiose Klöster, Kapellen und Einsiedeleien in den weichen Tuff meißelten. In den vielen Hohlräumen sind einzigartige Malereien zu entdecken, meist mit sakralen Themen. Sie zeigen unter anderen Christi Geburt, seine Taufe, seine Wunder, sowie die Kreuzigung und Grablegung. Wir wanderten hinauf bis zum kostenpflichtigen Teil des Parks. Da wir jedoch schon ein paar versteckte Kirchen gefunden und besichtigt hatten, beschlossen wir, uns den Eintritt zu sparen und durch das Rosental zurück zu gehen. Im Canyon fand ich eine griechische Landschildkröte, bevor wir hinab in eine Höhle stiegen. Enge Gänge führten im Berg auf und ab. Vorbei an Lichtschächten, die den Tunnel mysteriös beleuchteten, und steilen Kletterstellen erreichten wir schließlich den Ausgang aus dem beeindruckenden Tal und gelangten in eine fruchtbare Ebene aus Weinreben und Apfelbäumen, wo wir das ein oder andere Früchtchen naschten. Zurück am Campingplatz trafen wir auf 3 junge Französinnen und Franzosen und sprachen den ganzen Abend über Schulpolitik und die Politik der Europäischen Union. Ich konnte wieder meinen einträglichen Spruch, den ich in Marokko gelernt hatte, loswerden: „The European Union is a piece of shit“. Das hatte ein Hochschullehrer aus Belgien am Djebel Toubkal gesagt, was mich wirklich fasziniert hatte.
Wir verließen das Kirchental von Göreme in Richtung Uchisar und kamen über immer kleiner werdende Straßen auf eine absolute Nebenstrecke. Die Dörfer wurden nun immer ländlicher, die Bevölkerung extrem freundlich und die Landschaft so wild, wie ich sie schon länger erwartet hatte. Umgeben von fast 4000m hohen Bergen durchfuhren wir einen ausgetrockneten Salzsee. Abgelegen von der Straße fanden wir in dieser wüstenähnlichen Landschaft einen schönen Zeltplatz. Dort wurden wir von einem zügig heranziehenden Gewitter über den Bergen überrascht. Das Abendessen ging demnach ziemlich schnell von statten und Micha und ich verkrochen uns im Zelt. Als heftige Blitze übers Zelt jagten, überlegten wir, was zu tun sei und nachdem keiner von uns schlafen konnte, packte Micha seine Ukulele aus, - ich lag mit Strumpf überm Gesicht im Zelt - sang Deutsche Volkslieder und so schliefen wir beide irgendwann ein.
Am nächsten Morgen war alles wieder verzogen, der Himmel blau und der Wind abgeflacht. Zügig fuhren wir auf geraden Straßen hinauf nach Develi. Da das Frühstück etwas dürftig ausgefallen war, hatten wir bei der Ankunft großen Hunger, und wieder einmal musste der gute alte Döner herhalten. Im Restaurant trafen wir einen Deutsch-Türken, der viele Jahre in Braunschweig gearbeitet hatte. Eigentlich wollten wir uns auf Grund der zunehmenden kurdischen Bevölkerung als Österreicher ausgegeben. Doch er liess es gar nicht so weit kommen: „Ihr seid doch zwei Deutsche“. Wir unterhielten uns lange mit ihm, er lobte Deutschland, spendierte unser Essen, half uns beim Einkaufen und zeigte uns den Weg aus der Stadt heraus. Wieder folgten wir der Straße in eine tolle Berglangschaft bis nach Sahmelik, wo Mittagspause angesagt war. Drei niedliche kleine Mädchen kamen fasziniert von unseren Rädern auf uns zu und stellten extrem viele Fragen. Wir lernten das Wort „Arkadash“, was Freund bedeutet, und das sollte uns viel in den kommenden Gesprächen weiter helfen. Ein plötzlich einsetzender Regen unterbrach die lustige Unterhaltung und wir versuchten, uns schnell unter einer Brücke zu verkriechen. Aber das bemerkte ein Mann und winkte uns hinüber zu seinem Haus. So verbrachten wir den heftigen Regenguss nicht alleine hungernd unter einer Brücke, sondern im Kreise einer immer größer werdenden Familie und wurden sehr gut verpflegt. Als die jugendlichen Kinder der Familie kamen, versuchten wir etwas Englisch mit ihnen zu reden. Als das aber nicht funktionierte, brachten sie uns ein Türkisch-Englisch Dictionary, was eine richtige Unterhaltung mit der Familie möglich machte. Zum Abschied kamen noch viele Freunde der Familie, worunter auch russische Gastarbeiter waren. Also packte ich wieder mein super Russisch aus - mit demselben mäßigen Erfolg, spaciva davarisch!
Mehr Regen als Mensch und Natur ertragen
Wir hatten uns die gesamten letzten Wochen immer wieder vergebens Regen gewünscht und nun hatten wir so viel davon, dass an einer Stelle die Straße überflutet war und wir bis zu den Packtaschen durch den so entstandenen Fluss wateten. Durch malerische Berglandschaften fuhren wir hinein in große zusammenhängende Waldstücke mit Kieferbäumen. Die Straße schlängelte sich hinauf auf einen 1990 Meter hohen Pass, von wo aus man die grandiose Bergwelt Südostanatoliens überblicken konnte. Kurz hinter der Passhöhe machten wir Rast an einem Bergbrunnen bei einer Türkisch-Kasachischen Familie, welche uns Brot und Weintrauben schenkte. Schon wieder zog ein Gewitter auf und wir mussten fluchtartig den Pass und die Gebirgskette in tiefere Regionen verlassen. Schließlich verzogen sich die dicken schwarzen Wolken über uns und die Abendsonne brachte uns in den kleinen Ort Pinarla. Nach einem weiteren 1565 Meter Pass ging es auf eine große Straße und von dort bis Göksun. Zwischendurch war wieder einmal der Asphalt verschwunden und ein VW-Golf hielt an und fragte uns auf gutem Englisch nach dem Woher? und Wohin? Ich bemerkte die drei hübschen Töchter auf der Rückbank und freute mich, dass sie uns – trotz des ganzen Staubes und Dreckes an uns – noch anlächelten.
Über diese staubige Piste erreichten wir den windigen Ort Göksun und freuten uns auf den nächsten Döner. Im Restaurant sprach uns ein Englisch-Lehrer aus Antakya an. Er freute sich, mit uns reden zu können, und beschwerte sich über die Türkische Regierung. Er bekommt im Monat nur 300 Euro Lohn. Das sei das Problem an der teilweise schlechten Bildung der Jugendlichen im Land. Die Regierung stecke viel zu viel Geld in das Militär, anstatt sich ein wenig mehr um ihr marodes Schulsystem zu kümmern. Wir befinden uns in kurdischem Gebiet. Ist dies vielleicht der Grund dafür? Bekommt auch noch diese Generation ein Stück vom Kuchen der Unterdrückung ab? Wir wissen es nicht genau, doch können wir seine Sorgen und Ängste verstehen. Denn für ein Land mit so vielen jungen Menschen ist die Bildung definitiv wichtig. Wenn alle gleich behandelt würden, könnten in Zukunft Konflikte zwischen Kurden und Türken vermieden werden.
Dieses Gespräch hat einiges zu dem Verständnis des sogenannten „Kurden-Problems“ beigetragen und mir geholfen, das Ganze aus einer anderen Sichtweise zu betrachten. Nach der netten Unterhaltung fuhren wir auf eine kleine Nebenstraße bis nach Cardak. Kurz vor dem Ort stoppte uns eine Militärpolizeistreife für ein Fotoshoting und lud uns in ihr Office ein. Doch fanden wir kurze Zeit später einen schönen Schlafplatz in einem Pinienwald. So mussten sie bis zum nächsten Tag auf ihren Ausländischen Besuch warten, dachten wir uns. Doch als wir an der Polizeistation ankamen, wirkte diese sehr verlassen und wir fuhren daran vorbei, weiter nach Elbistan. Von hier aus folgten wir einer gut ausgebauten Nebenstraße in Richtung Nurhak.
Mit einer Versicherung durchs PKK Gebiet
Eine für acht Kilometer kerzengerade Straße führte vorbei an einer riesigen stinkenden Müllhalde in die ruhigen Berge. Es war eine sehr schöne Landschaft, welche wir begeistert durchfuhren. Keiner von uns dachte auch nur im Geringsten daran, das hier etwas nicht in Ordnung sein könnte, bis ein schwarzer VW-Golf Plus vor uns anhielt. Wir stoppten missmutig. Wie oft ist es denn bis jetzt schon vorgekommen, dass Autos anhielten und uns nach dem Woher? und Wohin? fragten, uns einluden oder einfach etwas zu Essen gaben? Auch dieses Mal dachten wir nur an diese Dinge. Der Mann fragte uns auf gutem Englisch, wo wir herkommen und wo wir hinwollen. Ich antwortete und er entgegnete einen Satz, der uns beide tief in den Magen ging.“You are enterring PKK Area“. Ich fragte ihn, ob es dennoch möglich sei, hier durch zu fahren und er sagte, dass es gerade für Deutsche, Österreicher (als die wir uns vor ihm ausgaben) und Amerikaner gefährlich sei. Wir sollten die Straße spätestens um 18 Uhr verlassen und unsere Zelte gut verstecken. Er holte einen Zettel hinaus und schrieb sich unsere Namen und Telefonnummern auf, mit der Begründung, dass er Kurde sei und uns unter seinen Schutz nehme. Natürlich gab ich ihm die falsche Nummer, ich wusste nicht genau, ob ich ihm trauen konnte. Auf einen zweiten Zettel schrieb er seine komplette Adresse und Telefonnummer. Wenn wir nun an PKK-Kämpfer geraten sollten, sagte er, sollten wir nur diesen Zettel zeigen und sagen, dass wir Freunde von ihm seien. Unsere Versicherung für dieses Gebiet. Er drückte uns zwei eiskalte Flaschen Wasser in die Hand und verschwand wieder. Wir blieben ein paar Minuten niedergeschlagen an dieser Stelle stehen. Keiner wollte etwas sagen. Doch dann brach das Schweigen und wir entschieden uns, in diese traumhafte Bergwelt hinein zu fahren. Schließlich hatten wir ja eine Versicherung, dass uns nichts passieren würde. Wie eine Schusssichere Weste hing von nun an der Zettel in meiner Lenkertasche und es ging weiter. Auf Grund der Tatsache mit der PKK entschieden wir uns zum nächst größeren Ort zu fahren und dort bei der Polizei nachzufragen, ob wir bei ihnen schlafen können. So ein Angebot hatten wir ja zuvor schon erhalten, warum sollte es nicht hier funktionieren? Am Abend war der Ort Nurhak erreicht, der in einem kleinen Tal lag und dessen Häuser sich am Rande der Berghänge hochzogen. Rundherum viele Pisten, die in sicher abgelegene Bergdörfer führten. Wie gerne wäre ich so einer Piste gefolgt, hinein in das wilde Kurdistan, doch war ich mir nicht klar, wie sicher unser Zettel wirklich war. Die Polizisten verstanden nur PKK in unseren Sätzen und bevor es noch zu einem Missverständnis kam, fragte ich einfach nach einem Hotel. Er verwies uns auf das Lehrerwohnheim neben der Krankenstation. Dort angekommen begrüßte uns der Hausmeister und wir handeln mit ihm einen Preis aus. An der Tankstelle daneben bekamen wir sogar Bier und konnten den Abend in geselliger Kurdischer Runde, mit Ukulele und hübschen Töchtern, ausklingen lassen. Beim Singen konnte ich die ältere Tochter ein wenig beobachten und so manches Lächeln wurde ausgetauscht. Dies merkte auch der nun grimmig guckende Vater. Er rückte mit seinem Stuhl genau zwischen uns und lachte wieder. So nicht mein Guter, dachte ich, und rückte ebenfalls ein Stück. Dieses Ritual vollzog sich den ganzen Abend und keiner von uns wollte nachgebenÂ…warum auch. Unser Hausmeister schien beim Bezahlen etwas unglücklich mit dem ausgehandelten Preis und verlangte erst einmal prompt das Doppelte. Mit einem Faustschlag auf dem Tisch, das Bier machte mich anscheinend mutig, verdeutlichte ich ihm, dass es so nicht ausgehandelt war und er ein Bandit sei. Mit einer harschen Handbewegung beförderte er uns aus seinem Büro – mit dem halben Preis in der Tasche. Ich hatte schon in Ägypten gelernt, dass man erst dann den richtigen Preis erhandelt hat, wenn die Gegenseite böse wird. Am nächsten Morgen waren alle PKK-Sorgen vergessen, ich kochte türkischen Tee in der Küche und wir versuchten an einer Tankstelle, den Zahnkranz an Michas Fahrrad festzuziehen. Natürlich gab es keinen 24er Schlüssel und Micha bekam ein Auto angeboten, um im Dorf an der nächsten Tankstelle einen zu suchen. Als er zögerte, setzte sich der Besitzer selbst ans Steuer und beide fuhren los. Ich saß derweil an der Zapfsäule und versorgte die Autos, die ständig anhielten. Mit meinem begrenzten Türkisch war das gar nicht so einfach. Zurück auf der Hauptstrecke sprangen wir kurz vor Gölbasi in den Fluss, um uns von der erdrückenden Hitze unten im Tal abzukühlen. Im Ort kauften wir ein und trafen auf einen französisch sprechenden Verkäufer, bei dem wir türkischen Honig kauften und unsere Wasservorräte auffüllten. Auf einer stark befahrenen Straße nahmen wir dann Kurs auf den Nemrut Dagi Nationalpark.
Nemrut Dagi National Park
Zwei Tage später erreichten wir diesen in herrlicher Abendstimmung. Ich saß oben auf dem Grabhügel, die Adlersäule im Rücken, und genoss den tollen Ausblick auf das vor uns liegende Tal und den Atatürk Stausee. Am gegenüberliegenden Berghang entdeckte ich den Campingplatz und wir entschieden uns, noch die 11 Kilometer in der angenehmen Abendsonne zu fahren. Also ging es von der Adlersäule hinab ins Flusstal über eine kleine Brücke und auf das Sträßchen, das über einen Pass hinüber zum Campingplatz führte. Nach der ersten Kehre stoppte neben uns ein Militär-Jeep und wollte uns zum Campingplatz mitnehmen, da es – unserer Vermutung nach – so spät auf der Straße zu gefährlich sei. Nur wohin mit den Rädern? Kein Problem, wir sollten uns einfach hinten an den Geländewagen hängen, mit den Armen fest halten und sie ziehen uns nach oben. Nun hatten wir mit uns selbst mehr als 100 Kilogramm an einem Arm hängen, so dass wir immer wieder abrissen. Das Militär dachte trotzdem nicht im Geringsten daran, uns zurück zu lassen. Wir versicherten mehrmals, dass alles ok sei und wir nun keine Hilfe mehr bräuchten, doch es half nichts. So quälten sie uns nach 100 Tageskilometern noch die letzten nach Damlacik zum Campingplatz und wir konnten uns nicht dagegen wehren. Dort angekommen trafen wir wieder auf den Münchner VW Bus, der uns an der Steigung überholt hatte. Klaus und Christine waren mindestens genauso gute Gastgeber wie die Türken und wir freundeten uns an. Es ist toll, etwas schönes gekocht zu bekommen und bei Efes Pils in geselliger Runde zu sitzen und lange über die Welt und ihre Schönheiten zu reden.
Am nächsten Morgen fuhren wir mit den beiden hinauf zum 2150 Meter hohen Nemrut Dagi, dem Götterberg. Er diente dem kommagenischen König Antiochos I als Grabhügel, der Götterverehrung und Selbstvergötterung. Vier Terrassen in alle Himmelsrichtungen werden jeweils von riesigen Götterstehlen flankiert. Den eigentlichen Grabhügel, mit seinen 70 Metern Höhe der größte der Welt, durften wir nicht betreten. Eine kleine Wanderung führte uns weg von dem Berg hinab in ein kleines Seitental zum einsam gelegenen Hotel „Günes“, das nur über eine lange Straße von der gegenüberliegenden Seite des Berges zu erreichen war. Eine beeindruckende, nahezu baumlose Bergwelt umgab uns. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass der einstigste Reichtum des kommagenischen Reiches von den damals vorhandenen Zedernwäldern her stammte. Es ging steil bergauf zurück, der gigantische Kegel erhob sich vor uns und man fantasierte, was für ein Aufwand es gewesen sein musste, die 200000 Kubikmeter Stein abzutragen und an dieser Stelle wieder aufzuschütten.
Zurück am Campingplatz bereiteten unsere beiden Gastgeber ein super Abendbrot mit dem Fleisch zu, das wir zuvor zusammen beim Metzger gekauft hatten. Unsere Gespräche über die Welt und den pulverförmigen Alkohol der Globetrotter Travel Lunch Packungen dauerten bis in die Nacht. Da auch Klaus als Diplom-Chemiker keine Antwort darauf fand, gaben wir uns mit einem: „das geht doch gar nicht“ zufrieden und ich fiel mal wieder tot müde ins Zelt. Wir genossen noch einen Tag auf dem super Campingplatz mit eiskaltem Pool, erklärten einer Deutschtürkin, dass der Islam und das Christentum die gleichen Wurzeln haben, reinigten die Fahrräder und machten uns dann weiter gen Osten.
Über den Euphrat nach Sanliurfa
Die Straße führte auf die Euphratmündung des Atatürkstaudammes zu und endete auch an dessen Ufern. Erst auf der anderen Seite ging es weiter. Eine Fähre brachte uns dort hin und wir verließen das beeindruckende Euphrattal mit dem faszinierend blau schimmernden Wasser und fuhren hinauf auf eine öde Steinwüste. An einem kleinen Acker erkundigten wir uns nach Trinkwasser und bekamen von dem Landarbeiter prompt einen kleinen Beutel Gurken geschenkt ...juhuuuuÂ…! Ich hatte die Gurken wirklich satt. Als seine Frau jedoch sah, dass er uns nur einen kleinen Beutel gegeben hatte, rief sie ihn zurück, füllte den Beutel bis zum Rand und so standen wir nun da. Transportieren konnten wir das alles nicht, also fragte ich den Chef der Familie, ob wir bei ihnen auf dem Boden schlafen konnten. Er willigte sofort ein und freute sich, Gäste zu haben. So verbrachten wir den späten Nachmittag bis zum Sonnenuntergang mit den Kindern. Ich hatte zum Glück zwei Packungen Luftballons im Gepäck und so hatten wir ein tolles Gastgeschenk. Selbst die schüchternsten Kinder der Familie ließen sich mit Luftballons zum spielen begeistern. Die Familie war sicher froh, dass wir uns um die ganzen Kinder kümmerten, so dass sie ihrer Arbeit nachgehen konnten. Es war eine sehr arme Familie. Sie besaßen kein Haus, nur einen kleinen aus Steinen zusammengewürfelten Verschlag, welcher nur den Kleinsten zum Schlafen zur Verfügung stand. Die Eltern und die großen Kinder schliefen alle draußen, wie auch wir. Dem Gefühl nach schlief ich mit dem Kopf im Hühnerstall und den Füßen bei der Kuh. Wir aßen auch mit der kurdischen Familie zusammen Abendbrot und sangen, wie üblich von der Ukulele begleitet, Deutsche Volkslieder, die bei der Familie gut ankamen.
Die weitere Reise führte uns über Siverek, einer dreckigen Stadt, nach Sanli Urfa, wo wir beide unsere eingefangene Magenkrankheit auskurierten (unzureichend, wie sich später noch herausstellen wird). Micha unternahm nach der Stabilisierung seines Kreislaufes eine kleine Radtour zum Göbekli Tepe, einer rund 10.000 Jahre alten Kultstätte auf einem bauchnabelförmigen Hügel. An der Schwelle zur Sesshaftigkeit hatten die einstigen Jäger und Sammler in einem Gemeinschaftsprojekt tonnenschwere, mehrere Meter hohe Felsblöcke aus den felsigen Hügeln geschlagen und zu kreisförmigen Anlagen aufgestellt. Seit nunmehr 15 Jahren wird dort unter der Leitung eines Augsburger Archäologen gegraben und archiviert. Leider darf man das ca. 30x40 Meter kleine Grabungsareal nicht betreten, jedoch ist die Betrachtung von außerhalb auch beeindruckend. Letztlich hat man von der Anhöhe einen grandiosen Ausblick in die schier endlose Haran-Ebene.
Eigentlich war gar kein längerer Aufenthalt in der Stadt geplant. Umso zufriedener waren wir, dass es uns hingerafft hatte und wir die tollen Sehenswürdigkeiten entdecken konnten. Ein beeindruckendes Bauwerk ist die Grotte von Abraham, welche von zwei großen Moscheen flankiert wird, der Karpfenteich und die tolle Altstadt mit Zitadelle und engen verschachtelten Gassen.
Auf nach Syrien, die arabische Welt empfängt uns!
Nachdem wir uns ein wenig von den Amöben erholt hatten, machten wir uns auf die letzten Kilometer nach Süden zur syrischen Grenze. Es ging hinab in eine große Ebene mit vielen Getreide- und Maisplantagen und wenigen Dörfern. Als wir den Grenzort erreichten, fiel es ein wenig schwerer, als gedacht, den Übergang zu finden. Es gab plötzlich keine Schilder mehr und wir fragten uns durch. Als wir endlich am Zaun standen, war dieser geschlossen. LKW Fahrer liefen aufgeregt hin und her, schimpften, lachten und diskutierten wild. Wir mussten warten und ich vertrieb mir die Zeit mit den Schwarzgeldhändlern. Dann öffneten sich die Schranken. Jeder lief schnell zu seinem Gefährt und wir schwingen uns in die Sattel. Nach drei Wochen endlich ein neues Land. Wir waren gespannt, etwas aufgeregt und blickten erwartungsvoll durch den Stacheldraht. Was wird uns in dem Land erwarten, vor dem uns manche gewarnt hatten? „Ihr werdet dort erschossen“, hieß es in Ankara am Flughafen. Die türkische Abfertigung ging schnell von statten. Dann auf zu den Arabern. Ein syrischer Soldat kam auf uns zu: „Welcome“. Dieses Wort sollte zu einem Leitsatz der syrischen Bevölkerung Touristen gegenüber werden. Lässig fragte er uns nach dem Passport. Die Pistole steckte im Hosenbund und ich spiegelte mich in seiner großen Sonnenbrille. Wir wurden unzählige Male nach dem Reisepass gefragt, aber sonst war es eine sehr entspannte Atmosphäre und jedes Gespräch wurde mit einem „Welcome“ beendet. Dann folgte die Immigration Office, die Einwanderungsbehörde. Ich überreichte den Beamten meinen schlecht ausgefüllten Einreiseschein und die Verhandlungen zur Aufenthaltsdauer begannen. Ich handelte 20 Tage heraus und dachte mir: “Jetzt erst recht.“ Mein Ziel war es, die vollen 30 Tage zu bekommen. Ich konnte nicht mehr höher Pokern und auf Schmiergeld hatte ich auch keine Lust. Da tauchte plötzlich ein Vorgesetzter hinter dem Beamten auf, böse Blicke wurden gewechselt und ich machte ein langes Gesicht, als der Stempel mit 15 Tagen auf mein Visum kracht. Auf die Frage hin, aus welchem Land Michael käme, antwortet mein schwäbischer Reisepartner: „German Democratic Republic“. Als ich das hörte, konnte ich mich nicht mehr halten vor Lachen und auch Micha bemerkte seinen Fehler und korrigierte sich. Nach drei weiteren „Welcome“ öffnete sich das eiserne Rolltor vor uns, wir waren in Syrien.
Der erste Ort Tall Abyad wirkte etwas ausgestorben am Mittag, schließlich war Ramadan. Doch am Marktplatz war ein wenig Gewusel und wir wurden sofort umlagert. Ich weckte den auf der Bank schlafenden Wächter, doch der wollte meine Dollar nicht sehen. Ein Junge hatte das alles mitbekommen und führte mich zu einem Laden, wo mir 30 Dollar in syrische Pfund getauscht wurden - zu einem recht guten Kurs. Endlich konnten wir einkaufen. Trotz Ramadan waren auch in Syrien einige Läden offen und wir bekamen Wurst, Käse und Brot. An einer Bushaltestelle machten wir unsere tägliche Mittagspause im Schatten. Es dauert nicht lange und wir waren von jeder Menge Taxifahrern umlagert. Zwei von ihnen setzten sich neben uns und erzählten stolz, dass sie der PKK angehören und dass Öcalan ihr Held sei. Uns war das mittlerweile egal, sie konnten uns noch so viel von der PKK erzählen, wir hatten keine Angst vor denen. Kurz hinter der Stadt wurden wir noch einmal auf einen Tee eingeladen und bekamen kaltes Wasser, das wir aber in unsere Trinkflaschen füllen ließen und mit Clortabletten spickten. Wir fanden einen schönen Platz in der Wüste hinter einem kleinen leerstehenden Hüttchen. Ich schlief ohne Zelt und genoss den dicht gepackten Sternenhimmel in der Nacht, nur gestört von den großen Mistkäfern, die mein Nachtlager erkundeten. Unendlich viele kleine Lichtpunkte bedeckten den Himmel und die Milchstraße leuchtete hindurch. Ich liebe die Wüste, denn zu jeder Tageszeit hat sie etwas Faszinierendes und ich konnte es kaum erwarten, das Euphratgebiet zu verlassen und endgültig hinein in die syrische Sandlandschaft zu fahren.
Es war nicht mehr weit zur ersten größeren Stadt Ar Raqqa. Da uns die arabische Schrift nicht lag, versuchten wir, uns bildlich vorzustellen, welchen Schildern wir folgen sollten. Die kommende Ortschaft hieß demnach „Turm, Kirche mit Fuchsschwanz, zwei Tiere mit zwei Köpfen und 4 Augen“ (von rechts nach links) Die Stadt, die im Reiseführer als schrecklich bezeichnet wurde, fanden wir gar nicht so schlecht. Für uns war es eine Oase mit Leben und all den Luxusgütern, die man auf einer Reise wie unserer nicht mitnehmen konnte. Dennoch wollten wir nicht bleiben. Nur schnell Geld holen und raus, denn übernachten im Zelt oder in der Bushaltestelle kam nicht in Frage. Dafür war es zu laut. Doch kommt es immer anders als man denkt. Wir brauchten mehrere Anläufe, um eine Bank zu finden. Die wollten dann entweder meine Euro oder Dollar nicht haben oder hatten gar kein Geld. Bei unserem letzten Versuch sagte ein Mann, es käme bald ein Jugendlicher, der Deutsch spricht. Wir warteten überrascht und wollten diesen Typen kennenlernen. Nach etwa zehn Minuten - ziemlich schnell für syrische Verhältnisse - kam ein wahrscheinlich 23-jähriger Kerl auf uns zu und sprach uns in gutem Deutsch an. Wir stellen uns vor, sagten, dass wir Geld brauchten und Abdul vermittelte uns. Zunächst war es auch für ihn nicht einfach, die richtige Bank zu finden, aber dann erreichten wir ein auffälliges Gebäude, welches ich nie als Bank gedeutet hätte. Am Geldwechsel stand ein Deutschlehrer und ich bekam meine Dollar umgetauscht, jetzt hatten wir genug Geld bis Damaskus. Als wir fertig waren, bedankte ich mich bei Abdul. Dieser bat uns, die Nacht in der Stadt zu bleiben und ihm von Deutschland zu erzählen, weil er doch so gerne dort studieren würde. Ich fragte ihn: „Wo möchtest du denn studieren: Hamburg, Berlin, München, Bonn?“ Und er antwortete mir ganz selbstverständlich: „Na in Ilmenau!“ Ich fragte noch drei Mal nach, ob er wirklich diese kleine Enklave im letzten Winkel des Thüringer Waldes meinte und er sagte sicher: „Keine Angst. Ich kenn mich in Deutschland aus und es ist Ilmenau.“ Als ich ihm sagte, dass ich dort auch studiere, blieb uns gar nichts anderes übrig. Wir suchten das billigste Zimmer der Stadt und verabredeten uns zum Abendbrot mit Abdul und seinem Cousin. Im Hotel ging es auch lustig zu. Nach Sonnenuntergang setzten wir uns zu den Männern im Foyer und redeten ein wenig über Syrien, Deutschland und natürlich den Islam. Ein Mann war sehr begeistert, als ich ihm das Islamische Glaubensbekenntnis auf Arabisch aufsagte. Wir schlugen unsere Hände ein und ich bekam von ihm ein Glas mit brauner dicker Flüssigkeit. Er sagte, dass es typisch ist und nur zum Ramadan serviert wird. Ich probierte einen Schluck und alle guckten mich erwartungsvoll an. Schließlich verschlangen sie mehrere Liter von dem Zeug am Tag. Durch die vielen gespannten Blicke traute ich mich nicht, die Wahrheit zu sagen und ihnen ihre Freude zu nehmen. Ich entgegnete mit „mhhh naja“ und alle freuten sich. Am liebsten wäre mir das Waschbecken gewesen, um das Zeug gar nicht runter schlucken zu müssen. Eh ich mich besinnen konnte, war mein Glas aber schon wieder voll und auf Michas Hilfe brauchte ich nicht zu hoffen. Er saß grinsend in der Ecke und freute sich, dass er kein Glas in der Hand hielt.
Gegen halb zehn kamen dann Abdul und sein Cousin zu uns. Wir gingen in die Stadt in eine super Hähnchenkneipe. Dort verbrachten wir viele Stunden, erzählten ihm von Deutschland und ich versprach meine Hilfe, wenn er sein Ziel erreichen würde und nach Deutschland kommt. Wir verabschiedeten uns spät in der Nacht und setzten die Reise am nächsten Morgen fort.
Hinein in die endlosen Weiten der syrischen Wüste
Über eine kleine Brücke ging es über den Euphrat und mit etwas Gegenwind nach Al Mansura, unserer letzten größeren Station vor etwa 450 Kilometern Wüste. Wenn man sich so einer Entfernung erst einmal bewusst wird, ist man schon fast wehmütig, wenn dann der Zeitpunkt kommt, man seine 15 Liter Wasser aufs Rad packt und das künstlich bewässerte, grüne Euphrat-Tal verlässt. Die Menschen, die einst mit ihren Kamelkarawanen genau die gleiche Strecke nahmen, müssen sich genauso gefühlt haben. Eine weite gerade Straße führte hinaus zum Horizont und wenn man sich nach einer halben Stunde umdrehte, verschwanden so langsam die letzten Häuser der Zivilisation, des Lebens oder sogar Überlebens, in flimmernden heißen Fatamorganas. Genau auf diesen Moment hatte ich die ganze Reise gewartet. Auf dieses hilflose Gefühl, das mich schon damals in die Sahara von Marokko begleitet hatte. Es ist keine Überschwänglichkeit, keine Verzweiflung, keine Angst, aber ein Mix aus allem. Am Abend setzte sich etwas vom Horizont ab. Dies musste die Ruinenstadt Ar Rusafa sein. Eine Stunde später erreichten wir diese. Wenn man sich von Norden her näherte, glaubte man, eine lebendige Stadt vor sich zu haben, da sie komplett von einer Mauer umgeben war und nur die Spitze der Basilika hinaus lunzte. Das Gelände war auch frei zu betreten und so genossen wir es, im Schatten der gewaltigen Steinmauern zu liegen und diese gigantische byzantinische Festung auf uns wirken zu lassen. Wir gingen etwas später hinein und besichtigten die Basilika, die Kirche und die vier riesigen Zisternen. Es sollten die größten des gesamten Orients sein, noch viel größer als die von Istanbul. Und wenn man sich diese karge Gegend hier ansah, war das auch verdammt nötig, denn in Trockenzeiten konnten diese 65x22 Meter große Zisternen 15000 Kubikmeter Wasser fassen, was bis zu 6000 Menschen versorgen konnte. Was mir schon von Anfang an so an Syrien gefallen hatte, war der freie Zutritt zu den archäologischen Stätten. Keine Zäune oder Absperrungen, keine Verbotsschilder und noch keine mit Hinweistafeln versehenen Ausgrabungen. So konnte man seiner eigenen Fantasie freien Lauf lassen. Wie ist das Wasser von dort nach dort gekommen? Was bedeutet der Absatz an der Wand? Wo hat wer gewohnt und wie verdammt nochmal kamen die 15000 Kubikmeter Wasser vom Euphrat bis in die Zisternen hier in der Wüste? All solche Fragen stellten sich und wir würden noch genug Zeit auf langen einsamen Straßen bis zum Horizont und weiter haben, um darüber nachzudenken. Als wir das Ruinenfeld am Abend verließen, sah ich, dass sich der Himmel in der Ferne braun zuzog. Ich kannte diese Farbe und wusste auch, dass es nichts Gutes hieß. Wie vermutet, gerieten wir 20 Minuten später in einen Sandsturm, wie jedes Mal, wenn ich in eine Wüste fahre. Doch in Marokko kam der Wind von vorn. Dieses Mal hatten wir ihn schräg von hinten. Eine äußerst angenehme Situation, wenn nicht diese vielen kleinen Sand- und Staubkörner auch den letzten Ritz des Körpers finden und diesen belagern würden. Wir vermummten uns und fuhren mit verdunkelndem Himmel weiter. Mir kamen wieder die Kaufleute in den Sinn. Wie muss es für sie gewesen sein, bis zu vier Tagen in einem Sandsturm zu reisen, wie kann man sich da orientieren, wo man doch nicht mal Sterne sieht? An der Sonne? Diese lässt sich zumindest noch etwas vermuten. Ich dachte noch die ganze Nacht darüber nach. An Schlaf war wegen des Windes sowieso kaum zu denken.
Am nächsten Morgen war alles verzogen und der Himmel blau. Die Sonne weckte mich im Schlafsack. Micha war schon länger wach und hatte einen kleinen Trip zur nächsten Kuppe gemacht, um auszumachen, welche Piste wir eigentlich fahren wollten. Wir guckten uns lange um, doch hing immer noch eine Dunstglocke aus Sand in der Luft und auch der Wind frischte wieder auf. Es war wieder eine schwere Entscheidung für mich. Schon wieder hatte mir die Wüste einen Strich durch die Rechnung gemacht. Erinnerungen aus Marokko kamen zurück. Ich hatte dort 3 Tage am Pisteneinstieg gesessen, um an die Algerische Grenze zu fahren, bis ich vom Wetter dazu gezwungen wurde, zu stoppen. Bei dem Gegenwind wäre ich nicht schnell genug vorangekommen und ohne Wasser jämmerlich in der Wüste zugrunde gegangen. Auch dieses Mal fiel die Entscheidung für meine Gesundheit. Es nützte nichts. Wir fuhren eine schöne Straße durch tolle Wüstenlandschaft. Ein Syrier auf seinem Motorrad hielt an und wir tauschten kurze Zeit Fahrrad gegen Motorrad. Es machte riesig Spaß mit 80 km/h durch die Wüste zu zischen. Wie einfach es war, Kilometer zurück zu legen und wie schön kühl! Er hatte ein Grinsen im Gesicht, als ich zurückkam, aber vielleicht war es auch nur mein Spiegelbild. Im Ort Al-Qawm füllten wir beim Militär unser Wasser auf und redeten mit den Soldaten. Ein Mann hielt mit seinem Pick-up an und sprach uns mit recht gutem Englisch an. Die letzten Kilometer zum östliche Wüstenschloss Qasr al-Hair ash-Sharqi ging es immer leicht bergab und schon 15 Kilometer vorher sah man das Bauwerk klar vor sich, doch dauerte es noch 45 Minuten um dort zu sein. Wir bauten unseren Schlafplatz direkt im Schloss neben dem Minaretturm der einstigen Moschee auf und übernachteten dort, wie einst die Kalifen von Damaskus, welche mit dem Schloss ein Naherholungszentrum hatten. Wie wir so in der Sonne lagen, sagte Micha plötzlich, dass er eine gepfiffene deutsche Melodie gehört habe. Ich dachte mir so meinen Teil und vermutete, dass es die Sonne war, die ihm den ganzen Tag auf den Kopf geschienen hatte. Doch er hatte Recht. Ein Mann kam um die Ecke und rief zu seiner Frau: „Ey, guck mal, was ich hier gefunden habe, zwei Deutsche.“ Es sind die einzigen Touristen, die wir bisher gesehen haben und so redeten wir bis zum Sonnenuntergang. Nun ist auch für uns Zeit, ins Bett zu gehen. Doch vorher hatten wir uns eine Wäsche verdient. Da wir vor kurzem unser Wasser aufgefüllt hatten und die 15 Kilometer zurück in den letzten Ort sowieso am nächsten Tag fahren mussten, genehmigten wir uns dies aus unseren Wassersäcken. Es ist ein tolles Gefühl, komplett nackt in der Wüste zu stehen und sich mit warmem Wasser, welches allein der Wind auf der Haut verdunsten lässt, zu waschen und damit richtig abkühlt. Sauber und zufrieden falle ich in meinen Schlafsack und genieße den Blick, wie sich der Vollmond über dem zerfallenen Turm der Moschee erhebt und das toll verzierte Wüstenschloss in fahles Licht hüllt. In der Nacht zwickt mich etwas in den Hintern. Erschrocken springe ich auf und denke: scheiße, ein Skorpion hat mich gebissen. Ich zerschlage das vermeintliche Tierchen mit der Hand. Als ich zitternd meine Stirnlampe auf den Matsch wendete musste ich lachen, es war nur ein Skarabäus.
Zurück im Ort ging es weiter auf der 30km langen Piste die letzten 20km zum Örtchen Suknah und damit auf eine asphaltierte Straße. Im Ort wurden wir von dutzenden Kindern umzingelt und kauften ein. Ich saß in einer Männerunde und versuchte, mich etwas zu verständigen. Micha kaufte zu viel Brot, da der Mann im Laden ihm nicht nur einen Teil der Packung verkaufen wollte. Ein junger Mann namens Hussein sprach uns auf Englisch an und ich bat ihn darum, das übrige Brot den Armen im Dorf zu geben. Er lehnte ab und sagte es gäbe keine. Schließlich nahm er es doch. „Seid doch meine Gäste heute“ sagte er zu uns. Und so saßen wir im Kreise der Familie, welche wieder mit extrem hübschen Töchtern gesegnet war, und aßen. Ein kleines Mädchen bediente uns mit Tee und ich wurde wieder ein paar Luftballons los. Wir redeten viel über den Konflikt zwischen Östlicher und Westlicher Welt. Er sagte „Angela Merkel hasst Muslime.“ Ich klärte ihn auf und erzählte was man bei uns im Fernsehen über Muslime sieht. In diesem Moment wurde mir bewusst, welchen Einfluss die Medien haben und wer die eigentlichen Verbrecher sind. Das sind Redakteure, wie zum Beispiel bei der Bildzeitung oder anderen vergleichbaren Zeitungen, beim Fernsehen bei den RTL Actionnews und und und, für die einzig und allein Hass quotenbringend und somit wichtig ist. „Aber“, sagte ich „es gibt ja immer noch Menschen, wie mich, die die Wahrheit kennen und wissen, wie friedlich der Islam und die arabische Welt ist, und die den Menschen versuchen, gegen die Übermacht der Klatschpresse davon zu erzählen.“ Während er nachdenklicher wurde und seine Worte mehr und mehr überdachte, fuhr ich fort: „Man kann die Welt nicht ändern, aber man kann einen kleinen Beitrag dazu tun, damit sie besser wird.“ Er wandte seinen Blick ab, bedankte sich mehrmals bei mir und sah ein, dass es nicht der Großteil der Menschen eines Landes ist, der so denkt, sondern nur ein kleiner Teil.
Nach Palmyra
Auf der Hauptstraße angekommen fuhren wir die letzten 62 Kilometer nach Palmyra. Ein großer Wegweiser, der nach Damaskus, Homs, Palmyra und Bagdad zeigte, begrüßte uns. Viel hatten wir schon von dem großartigen Gelände gehört und eigentlich wollten wir uns sofort in die römischen Ruinen hineinstürzen. Wir bauten unsere Zelte am Campingplatz direkt am Fuße des Baal-Tempels auf und liefen im „Garten Eden“ herum. Wir waren begeistert, als vor uns ein toller klarer Pool auftauchte. Das Ruinengelände wurde plötzlich sekundär und Micha war den ganzen Tag lang nicht mehr aus dem Wasser zu bekommen. Wir besichtigten noch die nächsten Tage das beeindruckende Gelände, liefen die 1300 Meter lange Kollonadenstraße entlang, vorbei an Tempeln hinauf zur Kaserne. Von dort hatte man einen tollen Blick über das gesamte Gelände und konnte sich vorstellen, was für eine riesige Stadt, die auch schon von den Assyrern besiedelt war, es einst gewesen sein musste. An das Ruinenfeld schließt sich das Tal der Gräber an. Wir kletterten hinein in einen der Grabtürme, ich wühlte in einer der Kisten mit Gebeinen. Syrien ist Archäologie zum Anfassen und das begeisterte mich erneut in diesem Gebiet. Wir genossen ein paar Tage in der Oase mitten in der Wüste, aßen uns satt und kurierten, so gut es ging, an der Amöbeninfektion. Dazu bekam ich heftige Medikamente in der Apotheke. Als es dann wieder in die Wüste hinausging, musste ich nach 40 Kilometern aufgeben. Die Krankheit und Tabletten, der Gegenwind und die Hitze forderten ihren Tribut. Ich war total am Ende und wir entschlossen uns schweren Herzens, einen Bus anzuhalten und für fünf Dollar pro Nase die letzten 190 Kilometer nach Damaskus zu fahren.
Vorbei mit der Ruhe, Damaskus empfängt uns
Aus der Ruhe der Wüste kamen wir nun in das Verkehrschaos der Hauptstadt. Ich dachte, wenn wir diese Möglichkeit nicht genutzt hätten, wäre die Reise für mich in Damaskus zu Ende gewesen. Viel zu geschwächt war ich, ich hatte viele Kilogramm abgenommen, tiefe Augenringe und konnte kaum etwas essen. Ich hatte nun zwei Tage Zeit mich in der Stadt wieder aufzuraffen, dann mussten wir weiter. Unser Visum lief ab und wir wollten uns den sicher chaotischen Gang zur Immigration Office sparen. Also wanderten wir die Altstadt mit ihrer beeindruckenden Umayadenmoschee ab. Die Moschee war für mich einer der schönsten Orte in der Stadt. Lange lag ich darin auf dem Teppich, döste und hörte den Gesängen der betenden Muslime zu. Eine tolle Atmosphäre, welche schließlich auch zu meiner Genesung beigetragen hat. Wir trafen eine Deutsche, die in der Stadt wohnte, aßen italienische Pizza und besuchten das Christenviertel der Stadt, wo Micha endlich die Möglichkeit erhielt, in einer katholischen Kirche neue Kraft schöpfen zu können.
Viel zu früh verließen wir die Stadt auch schon wieder, waren wir doch die Lautstärke und Hektik einfach nicht mehr gewöhnt. Insha‘ allah würde ich wieder kommen, nach Damaskus, nach Syrien und in die tolle arabische Welt.
Weiter nach Jordanien
Eine breite Straße führte uns durch landwirtschaftliches Gebiet bis an die Grenze nach Deraa. Dort wickelten wir alle Grenzformalitäten ab, bezahlten die Ausreisegebühr und eine neue Einreisegebühr für Jordanien. Über Jerash ging es nördlich von Amman in die Berge einen Pass hinauf. Oben angekommen blickten wir hinab in das Jordantal auf -400 Meter. Lange fuhren wir nach unten, durch lebhafte Orte, vorbei an einer Militärkontrolle. Es wurde mit jedem Höhenmeter heißer und dunstiger.
Aus bekannten politischen Gründen soll die Weitereise nicht näher erläutert werden....